Also das hier ist vegan und feministisch. Weil sonst alles scheiße ist.

Dienstag, 3. Mai 2011

Rezension: Landleben. Von einer, die raus zog

Christian Vagedes von der veganen gesellschaft deutschland hat dieses Buch hier schonmal besprochen und es fast schon euphorisch in den Himmel gelobt. Gerade diese Euphorie hat mich eher etwas kritisch gestimmt, aber die Thematik als solche fand ich interessant. Es ist autobiografisch, Hilal Sezgin erzählt von ihrem abenteuerlichen Plan von Frankfurt raus aufs Land zu ziehen. Nicht in die Kleinstadt, sondern mitten ins Nichts, die Pampa, Buxtehude oder wie man es nennen mag. 
Den Gedanken daran finde ich sehr schön. Ich bin in einer Kleinstadt aufgewachsen, aber sowohl das Land- als auch das Stadtleben waren sehr nah. Mit dem Fahrrad nach Venlo, mit dem Zug ins Ruhrgebiet oder eine kurze Tour ins Niemandsland, von uns aus war alles schnell zu erreichen. Als Kind und Teenager wollte ich natürlich in die Großstadt. Shopping, Bars, Kinos, die Stadt schien unendliche Möglichkeiten zu bieten. Auch heute fühle ich mich sehr wohl in Köln. Ich liebe die kulturelle Vielfalt, meine kunterbunte Straße, die vielen verschiedenen Einkaufsmöglichkeiten für Lebensmittel, Kleidung, Kosmetik, tolle Cafés, das Programmkino um die Ecke usw. Aber ich weiß, dass ich hier nicht ewig wohnen möchte. Irgendwann will ich meine Ruhe haben. Einen Garten im Grünen, ich möchte Kinder und Tiere haben und die sollen nicht in einer betonierten Gegend groß werden. Das ist spießig, aber es ist mir egal. Wenn ich höre, wie mein Vater verträumt davon erzählt, wie er und sein Bruder früher den ganzen Tag im Wald gespielt haben, reihenweise mit Gummistiefeln im Moder stecken geblieben sind, völlig verdreckt und erschöpft nach Hause kamen, wenn mein Freund mir erzählt, wie viele Baumhäuser sie gebaut und wie sie Eichhörnchen aufgepeppelt haben, dann denke ich, dass es für Kinder nichts besseres geben kann.

Hilal ist eigentlich eine Eigenbrötlerin. Sie hat zwar Freunde, aber der Kontakt ist eher unverbindlich. Die ganzen Möglichkeiten der Stadt nimmt sie nur passiv wahr, aber selten aktiv. In ihr wächst sie Sehnsucht nach dem Grünen. Nach Wald und Wiese, nach frischer Luft, freiem Blick und Stille.
Auf wundervolle Art und Weise erzählt sie von ihrem Plan, wie kompliziert es war das perfekte Haus zu finden, wie viele Freunde und unbekannte Menschen ihr geholfen haben, Probleme, über die sie nie nachgedacht hat zu lösen. Schnell merkt sie, dass es auf dem Land viel lockerer zu geht. Der Mietvertrag wird mit einem Handschlag geschlossen, im Dorf leiht man sich alles was man hat, fast als sei es Gemeingut, dass man einfach mal so auf einen Tee beim Nachbarn vorbeischaut und sich gegenseitig hilft, bei jeder Tages- und Nachtzeit. Zu ihrem Haus gehört ein Stall mit mehreren Schafen die sie zuerst überfordern und ihr später immer mehr ans Herz wachsen. Zu jedem hat sie eine Beziehung, jedes hat einen Namen, eine Geschichte und einen Charakter. Eines hat sie sogar großgezogen. Bald rettet sie ein paar Hühner aus einer Legebatterie und auch um diese kümmert sie sich liebevoll. Man kann praktisch lesen, wie sehr sie an ihren Aufgaben wächst. Unwetter, Kälte und Krankheiten fordern sie und die Tiere immer wieder heraus, aber zum Ende hin hat sich nahezu perfekte Ställe, Heuraufen und Tränken für ihre Tiere gebaut.

Immer mal wieder lässt die Autorin einfließen, dass sie Vegetarierin sei. Es überrascht auch gar nicht, dass sie die Tiere "einfach nur so" hat. Ohne "Zweck" oder "Nutzen". Dazu passend berichtet sie ebenfalls über die verschiedenen Anlagen für "Nutztiere", die sie in ihrer Umgebung besichtigt. Neben den Herausforderungen die das Landleben im Allgemeinen an sie stellt ist das die schweierige Seite ihres Umzugs, denn nicht alle kommen gut weg. Stellenweise ist sie so schockiert, dass ihre Beschreibung der Zustände mich beinahe ein paar Tränen gekostet hätte. Gegen Ende des Buchs folgt ein wunderbares Plädoyer für den Veganismus, den sie nun zum zweiten Mal in ihrem Leben umsetzt. Sie spricht all die Aspekte an, die uns hier vermutlich allen bewusst sind. Haltung, Zucht, Ausbeutung, Welthunger, Übersäuerung, leere Weltmeere usw. Was ich besonders interessant, aber fast schon ein bisschen zu kurz gekommen finde, ist ihre Abhandlung bezüglich Tierethik in der Philosophie. Sie kritisiert sie sehr stark und da ich selbst sehr an Ethik- und Moralphilosophie interessiert bin (aber leider noch nie etwas zu Tierethik gemacht habe) kann ich nur staunen, wie unzivilisiert gegenwärtige Philosophen mit dem Thema umgehen. Beinahe lachen musste ich bei ihrem Argument gegen die Natürlichkeit des Fleischessens. Sie hat es einfach so sehr auf den Punkt gebracht, dass ich beinahe wünsche in naher Zukunft würde jemand so etwas zu mir sagen, damit ich ihm ihre Argumente entgegen kann.
Viele andere Punkte finde ich ebenfalls bemerkenswert, aber ich sehe schon, dass dieser Artikel genauso lang wird wie das Buch, ich will euch ja auch nicht alles erzählen.

Ich habe das Buch gestern zu Ende gelesen und nun bin ich ein bisschen neidisch auf Hilal Sezgin. Sie hat sich wirklich etwas getraut. In ihr Leben ist ein ganzer Haufen Verantwortung, Pflichten und Arbeit getreten, aber sie ist zufriedener und aktiver als vorher. Sie lebt im Einklang mit ihrer Umwelt und genau das wünsche ich mir auch für mich.

16 Kommentare:

  1. Ich freue mich immer, wenn ich auf deinem Blog solche Anregungen bekomme! Habe mich direkt auf der Vormerkliste der Stadtbibliothek eingetragen und bin neugierig auf das Buch.

    Ich bin auf einem isolierten Bauernhof aufgewachsen, da hat man schon einen sehr anderen Blick auf das Landleben, als Leute, die sich als Erwachsene voller Sehnsucht darauf einlassen. (Das war übrigens ein Milchviehbetrieb und da bin ich mit dem Mantra großgezogen worden: 'Milch und Fleisch werden die Menschen immer brauchen...')

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  2. Ich bin auch auf dem Land "groß geworden", habe ca. 10 Jahre in einem Dorf mit knapp 200 Einwohnern verbracht. Fast alle arbeiten dort in der Landwirtschaft und Viehzucht.
    Ich habe allerdings auch negative Seiten des Landlebens kennengelernt. Es ist oft nervig, wenn jeder Jeden kennt. Es entstehen schnell Gerüchte, Getuschel und es engt einen oft ganz schön ein. Deswegen war ich froh zum Studieren in die Stadt ziehen zu können. Mal davon abgesehen, dass es in unserem Dorf bei weitem nicht so harmonisch zugeht, wie in dem Buch. Viele Bewohner meiden sich, keine Ahnung warum..es gibt so Grüppchen, keinen allgemeinen Zusammenhalt, viel Falschheit. Ich bin nur froh, dass wir so nette Nachbarn haben. Das reißt so viel raus.

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  3. In dem Buch werden auch die schwierigen Zeiten beschrieben, das kommt vielleicht ein bisschen zu kurz in meiner Beschreibung. Aber es sind eben "andere" Schwierigkeiten, eher Herausforderungen und wenn sie sie bewältigt hat, merkt sie richtig, wie sie gewachsen ist. In der Stadt ist sie in ihrer Bude versunken, auf dem Land ist sie trotz aller Probleme aufgetaut.
    Und natürlich gibt es immer auch regionale Unterschiede, sowie Typfragen.

    Was das Getuschel betrifft, ich glaube, das gibt es überall dort, wo es Menschen gibt ;)

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  4. Vielleicht habe ich auch echt regionales Pech. Die meisten Menschen in meinem Heimatdorf sind furchtbar engstirnig und einseitig in ihrer Sichtweise. Einmal ein Urteil gebildet und Schluss. Niemand möchte über den Tellerrand schauen. Es gibt dort wenige Menschen, die weltoffen sind, was ich sehr schade finde.

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  5. Bei mir ist das auch so, ich will auf gar keinen Fall zurück. Als ich da gelebt habe fand ich es schon schrecklich und ich habe das Gefühl, es wird immer schlimmer. Konservative und stock-katholische Hochburg seit es demokratische Wahlen in Deutschland gibt. Anders sein geht da gar nicht.

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  6. Danke für den tollen Buchtipp und die gelungene Beschreibung. :) Du hast mir das Buch jetzt ganz schön schmackhaft gemacht. Mal sehen ob ich es mir demnächst irgendwo leihen kann.

    Besten Gruß

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  7. Kommt auch bei mir definitiv auf die Reading List! :-) Vielen Dank!

    Die Erzählungen deines Vaters und deines Freundes kann ich gut nachvollziehen. Ich bin auf dem Dorf aufgewachsen und "damals" (- also vor ca. 15-20 Jahren) war es völlig normal, dass man im Sommer durch alle Kuhställe gelaufen ist, mit den Kühtreibern auf die Weide gewandert ist, den ganzen Tag im Wald umhergesprungen ist, sich mit dem Gemeindepersonal um das Saubermachen von Nistkästen gekümmert hat etc. Man wurde einfach überall hin mitgenommen und ich bin sehr sehr froh darüber. Da hatte irgendwie auch niemand Heuschnupfen oder sonstige Allergien.
    Ich weiß leider nicht, ob das immer noch so ist bei meinen Eltern auf dem Dorf. Schön wärs auf jeden Fall für die Kiddies, was besseres als Landleben kann denen eigentlich nicht passieren

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  8. Ich dachte eben, ich seh nicht richtig! So ein Buch habe ich mir schon lange gewünscht! Bisher schien es nur Bücher von fleischessenden Menschen zum Thema Aussteigen zu geben. Vielen, vielen Dank für diesen Tipp! Mein Mann und ich sind schon lange auf der Suche nach einem geeigneten Haus weiter draussen. Er arbeitet in einem Dorf nahe Hamburg und in das oder in eins der umliegenden Dörfer möchten wir auch gerne ziehen. Wenn wir denn irgendwann mal Glück mit der Haussuche haben. Ich bin am äussersten Stadtrand mit sehr viel Grün aufgewachsen und war immer ein Naturkind. Aber mehr als Parks, ein kleiner Wald und unser grosser Garten blieb mir damals als Kind auch nicht. In RICHTIGER Natur zu leben war schon immer mein Traum. Bloss komplett in der Pampa leben könnte ich nicht, da ich ab und zu auch mal gerne in der Stadt bin, in vegane Restaurants und Eisdielen gehe oder einfach mal bummele. Von daher kommt das Dorf, in dem mein Mann arbeitet, sehr gut in Frage, da man von dort aus trotzdem keine Ewigkeiten in die Stadt braucht. Ich bin gespannt, was die Zukunft so bringen wird für uns.

    LG,
    Monster

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  9. Genau über DAS thema habe ich gestern stundenlang mit einer freundin gequatscht. dieser wunsch nach land ist besonders in den letzten jahren immer stärker geworden. ich habe es schon immer so sehr genossen, mal aus der stadt rauszukommen. ich finde genauso wie du, dass es für kinder nichts besseres gibt. ich vermisse es so sehr und hoffe, dass ich diesen plan sobald wie möglich umsetzen kann :) ich werde das buch auf jeden fall lesen. danke für den tip!

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  10. Schön, dass ihr noch nicht alle längst davon gehört habt und ich euch das schmackhaft machen konnte ;)

    @Monster
    Dann ist das Buch wirklich perfekt für dich! Hilal hat auch in dieser Umgebung gesucht und wohnt jetzt in der Lüneburger Heide :) (Glaub ich, bin mir nicht mehr ganz sicher, wo genau)

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  11. Ich bin quasi vor den Toren Hamburgs aufgewachsen, von meinem Elternhaus aus kommt man im einer halbesn Stunde Autofahrt auf die Reeperbahn zu feiern und vor dem Haus hatten (seit ein paar Jahren wird dort auch gebaut) wir ein Feld und in 5 Gehminuten ein Wäldchen. Das war sowohl als Kind als auch als Teenie perfekt. Hier in Heidelberg fühle ich mich schon wohl, mir fehlt aber oft die Großstadt, die Möglichkeiten die man dort hat, grade als Veganer!
    Ich glaube aber sobald das erste Kind da ist und größer wird, werde ich noch froh sein in einer eher kleinen Stadt zu leben, da muss man sich sicherlich weniger Sorgen machen. Da frag ich mich grad wie es meiner Mutter wohl so ging wenn ich mit 17 mit Freunden bis Nachts um 6 auf dem Kiez unterwegs war. :-)

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  12. Ich habs mir vor wenigen Tagen als E-Book gekauft. Jetzt freue ich mich noch mehr, es bald lesen zu können! :)

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  13. oh, das ist ja lustig. ich lese deinen blog schon seit einer weile und jetzt schreibst du, dass du früher mit dem fahrrad nach venlo gefahren bist. dann scheinen wir ganz aus der nähe zu kommen! :)
    entschuldige, dass der kommentar eigentlich nichts mit deiner rezension zu tun hat ;)
    lieber gruß
    caro

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  14. Caro, wo kommst du denn her, aus Straelen? ;)

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  15. nein, aus nettetal ;)
    caro

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  16. Ach schade, sonst hätte ich eine Vermutung gehabt ;D Aber Nettetal kenne ich dann natürlich auch! Irgendwie witzig, was für ein Zufall :)

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